Nummerierung von Polizeibeamten bei geschlossenen Einsätzen

Sehr geehrte Frau Fraktionsvorsitzende Sitzmann,
(inhaltsgleich an Herrn Fraktionsvorsitzenden Schmiedel)

zwei Polizisten mussten am Rande des Fußballbundesligaspiel VfB Stuttgart gegen Hertha BSC Berlin am Freitag, dem 6. März 2015 bei einem Angriff von kriminellen Gewalttätern, auch Fußballfans, Hooligans oder Ultras genannt, ernsthaft um ihr Leben fürchten. Sie wurden laut Polizeibericht alleine von einer ca. 80-köpfigen Menge in der Nähe des Bad Cannstatter Bahnhofs mit Steinen und Eisenstangen angegriffen und verletzt. Eine Kopfplatzwunde durch Steinwurf ist schmerzhaft. Dass es nicht zu einem Schädelhirntrauma mit tödlichem Ausgang gekommen ist, ist eigentlich nur Glück. Einer der beiden Kollegen konnte nur noch mit sogenannten Signalschüssen andere Polizeikräfte auf die lebensbedrohliche Situation aufmerksam machen. Polizeibeamte einer „geschlossenen Einheit“ mussten ihre Kollegen aus den brutalen Angriffen befreien. Die Situation, die mir beteiligte Kollegen im Nachhinein schriftlich geschildert haben, will ich derzeit noch unter dem Begriff „nicht pressefrei“ ablegen. Dass insgesamt eine zweistellige Anzahl von Polizeibeamten sowie ein Polizeipferd bei diesem Einsatz verletzt wurden, sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.

„Protest mit Mundschutz“ war laut einem Bericht der Badischen Neuesten Nachrichten vom 10. März 2015 am selben Wochenende in Karlsruhe beim Zweitligaspiel gegen RB Leipzig durch Ultra-Gruppierungen angesagt, nachdem es im Spielerhotel der Gästemannschaft und nach dem Spiel im Wildparkstadion zu „Bedrohungen“ gegen Mannschaft und Trainer gekommen ist.

Medial überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurden Auseinandersetzungen und kritische Situationen am Rande des Fußballspiels des VfR Aalen gegen Greuther Fürth. Neben einem noch in Aalen befindlichen Einsatzzug wurde zusätzlich auch noch eine Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaft, die auf der Rückfahrt vom Fußballeinsatz in Stuttgart war, beschleunigt nach Crailsheim verlegt, um die angespannte Lage zu bereinigen.

Bei den sieben Heimspielen der baden-württembergischen Mannschaften der oberen Ligen waren an diesem Wochenende insgesamt weit über 700 Polizeibeamtinnen und -beamte im Einsatz, davon über die Hälfte vom Polizeipräsidium Einsatz. Darüber hinaus wurden die baden-württembergischen Polizeikräfte beim Freitagabendspiel in Stuttgart von starken Einsatzkräften der Bundespolizei unterstützt.

Aus dem Landeslagebild Fußball des Landespolizeipräsidiums, Landesinformationsstelle Sporteinsätze (LIS), für die Saison 2013/2014 gehen u.a. folgende Zahlen, Daten und Fakten hervor:

… Die Gesamtlage bei Fußballspielen in Baden-Württemberg hat sich, nach einer Entspannung in der vorangegangenen Saison 2012/2013, wieder verschärft.

… 100 verletzte Personen bei Spielen im Ligenbetrieb (+28 Prozent). Zunahme verletzter Polizeibeamtinnen und -beamter von sechs auf 33.

… Erneut steigende Fallzahlen bei den Straftaten (+39 Prozent), besonders bei Landfriedensbruch (144 Delikte), Körperverletzung (147) und Beleidigung (127).

… Von den meldepflichtigen Begegnungen der Spielzeit 2013/2014 haben die Spielortdienststellen 137 Spiele (Vorjahr: 121) als Risikospiele (111 „Risk“ und 26 „High-Risk“) eingestuft.

… Darüber hinaus ist die Einsatzbelastung der Polizei sowohl hinsichtlich der Anzahl eingesetzter Beamter (von 26.017 auf 29.392) als auch der angefallenen Einsatzstunden vor Ort (von 159.021 auf 184.921) angestiegen.

… Ein Anstieg um 2.500 auf über 33.000 anwesende Problempersonen bestätigt weiterhin die hohe Attraktivität des Fußballs in den gewaltbereiten Szenen.

Die hierbei eingesetzten Kolleginnen und Kollegen wollen Sie künftig nummerieren!? Um was zu erreichen oder was zu verhindern?

In der 122. Plenarsitzung des Landtags von BW am 11.03.2015 zur Frage des Abgeordneten Blenke zur Vermummung von „Fußballfans“ in Stadien antwortete Innenminister Gall übrigens: „Ich will Ihnen, weil Sie das Thema Vermummung in diesem Zusammenhang angesprochen haben aber ausdrücklich sagen: Wir gehen schon davon aus, dass wir mithilfe anderer polizeilicher Maßnahmen trotz einer Vermummung Täter identifizieren können.“

Wozu wollen Sie unsere Kolleginnen und Kollegen demnach nummerieren?

Unsere geschlossenen Einsatzeinheiten sind heute bei Fußballeinsätzen, morgen bei Pegida- oder Anti-Pegida-Einsätzen, übermorgen bei Demonstrationen von Rechtsradikalen (z.B. anl. des 70. Jahrestages der Zerstörung von Pforzheim) und über-übermorgen bei Einsätzen gegen Salafisten, islamistische Radikale, Rocker, bei Razzien, u.v.a.m. unterwegs. Nicht nur in Baden-Württemberg, nein, in nahezu allen Bundesländern. An fast jedem Wochenende.

Diese Kolleginnen und Kollegen wollen Sie künftig nummerieren!? Um was zu erreichen oder was zu verhindern?

Müssen wir uns die Frage wirklich selbst damit beantworten, dass in der Koalitionsvereinbarung von Grün-Rot für 2011 bis 2016, ausgerechnet unter der Überschrift „Gewalt gegen Polizei stoppen“, folgendes nachzulesen ist:

„… Wir werden eine individualisierte anonymisierte Kennzeichnung der Polizei bei sog. „Großlagen“ einführen, unter strikter Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Polizistinnen und Polizisten.“ ???

Oder vielleicht damit, dass in einem LPP-Info vom 3.2.2015 zur Einrichtung einer Projektgruppe zu lesen ist:

… Bereits im Koalitionsvertrag der Landesregierung wurde die Einführung einer Individualkennzeichnung festgeschrieben. Das Projektteam hat demzufolge nicht die Aufgabe, das Für und Wider der Einführung einer individualisierten anonymisierten Kennzeichnung herauszuarbeiten sondern ein Konzept zu entwickeln, wie die Individualkennzeichnung in Baden-Württemberg umgesetzt werden kann. …

Ist das wirklich Ihre Begründung, warum sie unsere Kolleginnen und Kollegen künftig nummerieren wollen? Um Gewalt gegen die Polizei zu stoppen?

Unter der Überschrift: „Schutz vor Übergriffen - Tausende Berliner Polizisten aus Melderegister gestrichen“, berichteten zahlreiche Medien in Berlin/Brandenburg kurz vor dem Jahreswechsel hierüber: vom 30.12.2014

„Tausende Polizeibeamte in Berlin fühlen sich offenbar so bedroht, dass sie ihre Privatadresse im Melderegister sperren lassen. Fast 3.000 Polizisten haben davon 2014 Gebrauch gemacht. Anlass zur Sorge gibt es durchaus: Jedes Jahr werden hunderte von ihnen körperlich angegriffen.“

Die Beteuerungen der Berliner Regierung, dass die Nummerierung doch dem Schutz der Polizeibeamten, der politischen Förderung der Kommunikationsstruktur, der rechtsstaatlichen Transparenz, vertrauensfördernden Maßnahmen oder anderen Zwecken dienen sollte und die Identität nummerierter Polizeibeamter absolut vertraulich behandelt würden, hat ganz offensichtlich nicht sehr gefruchtet, oder?

Wie sollte es auch, wenn Polizisten auch in BW wie nachfolgend exemplarisch dargestellt in den sozialen Netzwerken und per Internetaufrufen bis ins Private „verfolgt“ werden.

Es folgen Belegbeispiele aus dem Internet, welche wir an dieser Stelle aus Persönlichkeitsaspekten der Betroffenen hier nicht abdrucken.

Können Sie sich evtl. vorstellen, welche Folgen solche „Fahndungsaufrufe“ mit einer Nummerierung für die Betroffenen haben könnten?

Sie wollen unsere Kolleginnen und Kollegen also künftig nummerieren!? Um was zu erreichen oder was zu verhindern?

Und auch solche und ähnliche Aufkleber und Flyer finden Kolleginnen und Kollegen derzeit z.B. bei Spielen des VfR Aalen oder bei Montagsdemonstrationen zu S 21: Eine breit organisierte „Privatfahndung“ in den sozialen Netzwerken oder Blogs nach einem mit einer Nummer gekennzeichneten Polizeibeamten kann das Vertrauen in politische Absichten ganz sicherlich nicht besonders positiv beeinflussen.

Schlägt man nummerierten „Bullen-Schweinen“ leichter auf´s Maul, wenn sie nummeriert sind? Welchen Deeskalationsbeitrag wollen Sie mit einer Nummerierung bei wem erreichen?

Die Einigungsstelle beim Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur in Rheinland-Pfalz hat in ihrer Sitzung vom 18. Juli 2013 … (mehrheitlich) folgenden Beschluss gefasst:

… Die beabsichtigte Einführung von individuellen Kennzeichnungen für Einsatzkräfte geschlossener Einheiten sowie mobiler Eingreifgruppen der Polizeipräsidien geht, … allein auf eine Formulierung in dem zwischen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geschlossenen Koalitionsvertrag zurück …

… In Anbetracht fehlender sachlicher Gründe für die in Rede stehende Änderung … bereits bestehender, funktionierender individueller Zuordnungsmöglichkeiten im Beschwerdefall, ist die Einigungsstelle … der Auffassung, dass es für die Umsetzung allein aufgrund der Vereinbarung im Koalitionsvertrag keine Rechtfertigung gibt und daher auf die Änderung verzichtet werden sollte.“

Die Polizei BW, unsere Kolleginnen und Kollegen machen sich ernsthafte, begründete Sorgen um diese Art von Sicherheitspolitik, ob im Gleichschritt mit anderen Bundesländern oder im Alleingang. Ja, mitunter machen uns Ihre Aktivitäten sogar Angst.

Wir sollten als Gewerkschaften mit unserer Argumentation und Ablehnungshaltung abrüsten, wurde uns hier und da entgegnet. Mit Verlaub, dieses Thema ist angesichts der aktuellen Ereignisse, der weiter steigenden Zahl von Gewalt gegen Polizeibeamte (PKS 2014: + 5,2%), der Zahlen, Daten und Fakten aus dem Jahresbericht der LIS und aus vielen anderen Aspekten definitiv nicht zur „Abrüstung“ geeignet. Dies vor allem auch deshalb, weil wir wissen, dass die Nummerierung von Polizistinnen und Polizisten eher nicht juristisch, sondern vielmehr parteipolitisch und medial verhindert werden muss.

Auf zahlreiche weitere, sachliche Argumente gegen eine Nummerierung von Polizeibeamten in geschlossenen Einsätzen kann und will ich an dieser Stelle nicht eingehen. Weder von den Grünen noch von den Sozialdemokraten wurden diese Argumente bislang – zumindest bei der Deutschen Polizeigewerkschaft – nicht einmal abgefragt. Gespräche, initiiert von den Regierungsfraktionen oder deren sicherheitspolitischen Sprecher, gab es ebenfalls keine. Dennoch beschäftigt sich eine Projektgruppe des Innenministeriums „auftragsgemäß“ der Koalitionsvereinbarung mit der Umsetzung in dieser Thematik.

Erinnern darf ich an eine von den Polizeigewerkschaften DPolG und GdP am 31. Juli 2014 initiierte Veranstaltung bei der Bereitschaftspolizei in Bruchsal. Außer dem parlamentarischen Geschäftsführer der Grünen, Herr Sckerl, konnte bzw. wollte keiner der Fraktionsführer/-vertreter außer den Aussagen des Koalitionsvertrags einen einzigen sachlichen Grund für die geplante Maßnahme vorbringen. Und auch Herr MdL Sckerl „überzeugte“ lediglich mit der Aussage, dass es auch politisch-gesellschaftliche Kräfte gäbe, die eine Kennzeichnung für notwendig erachten würden. Wurde die Argumente und Positionen der Gewerkschaften bislang in Ihren Fraktionen umfassen dargelegt und diskutiert?

Prof. Dr. Arnd Diringer von der Hochschule Ludwigsburg sagt: „Wenn Polizisten Opfer politischer Gewalttaten werden, handelt es sich eben nicht um „Auseinandersetzungen“ oder „Rangeleien”, sondern um einen Angriff auf die körperliche Unversehrtheit der Beamten und den demokratischen Rechtstaat. Die Täter sind weder „Aktivisten“ noch „Demonstranten“ oder nur „gewaltbereit“, sondern Gewalttäter. Sie sollten auch als solche bezeichnet werden.“ http://www.verwaltungmodern.de/index.php/politisch-motivierte-gewalt-polizisten-im-visier/

Die Umsetzung Ihrer Nummerierungspläne in Baden-Württemberg wird nach derzeitigen Berechnungen der Projektgruppe einschließlich der Beschaffung einer notwendigen Datenbank übrigens rund 250.000 Euro kosten.

Die Einführung einer Nummerierung von Polizeibeamten – wo auch immer und wie auch immer – ist eine kollektive Diskriminierung auf unsere Landesverfassung vereidigter Repräsentanten unseres Rechtsstaats, ein deutliches Zeichen kontra Wertschätzung und Vertrauen durch den Dienstherren, ein Misstrauensvotum gegen Menschen, die ihr Leben und ihre Gesundheit 365 Tage in Jahr und 24 Stunden am Tag für dieses Land und seine Bürgerinnen und Bürger einsetzen. Und selbst wenn es Einzelfälle von Unzulänglichkeiten und vielleicht sogar von Rechtsmissbräuchen gibt, rechtfertigt dies nicht, eine ganze Berufsgruppe in eine politisch motivierte „Sippenhaft“ zu nehmen. Das vermeintliche Trauma rund um den 30. September 2010 kann auch anders bewältigt und aufbereitet werden.

Bei uns steht POLIZEI drauf! Und wo POLIZEI draufsteht, ist auch POLIZEI drin! Das reicht als rechtsstaatliche Legitimation aus!

Um abschließend mit Herrn Innenminister Gall zur sprechen: „Wir gehen schon davon aus, dass wir mithilfe anderer polizeilicher Maßnahmen trotz einer Vermummung Täter identifizieren können.“

Sie wollen unsere Kolleginnen und Kollegen künftig nummerieren!? Es gibt keinen einzigen, sachlich überzeugenden Grund dafür!

Ich bitte Sie sehr herzlich, das Thema politisch zur Seite zu legen. Bitte keine Umsetzung zum jetzigen Zeitpunkt angesichts aktueller Gewaltexzesse und immer weiter zunehmender Gewalt gegen Polizeibeamte.

Mit besten Grüßen
Joachim Lautensack Landesvorsitzender